99 Grindwale am Farewell Spit gestrandet
Silke | 24. Januar 2012 | 04:05Dienstag, 24.01.2012
Im Gegensatz zu gestern morgen ist heute alles vorbereitet und so stehen wir beim Wecker klingeln um halb sieben auch tatsächlich auf. Wir wollen nach Tara Beach fahren und uns für einen Tag Seekajaks ausleihen, um an der Küste der Tasman Sea entlangzufahren. Aber der Tagesplan ändert sich abrupt: um kurz nach sieben kommt Stephan von der Toilette wieder mit der Nachricht, auf dem Parkplatz sei ein großer Menschenauflauf. Er hat erfahren, dass im äußersten Norden der Südinsel, am vorgelagerten Farewell Spit gestern Wale gestrandet seien. Es werden freiwillige Helfer gebraucht, um die Tiere wieder zurück ins Wasser zu bekommen. Wir überlegen kurz und beschließen dann, das Kajak fahren sausen zu lassen und die 50 km die Küste hochzufahren und zu sehen, ob wir helfen können. Proviant und Ausrüstung für einen Tagesausflug sind ja sowieso schon vorbereitet, also können wir unmittelbar losfahren. Nur unseren Autowerkstatttermin um acht wollen wir noch wahrnehmen, da uns eine wackelnde Lenkung etwas Kopfzerbrechen bereitet hat. Der Termin ist zum Glück schnell abgehakt- alles in Ordnung. Ich kaufe im Supermarkt noch Vortagsbrötchen und Scones und wir frühstücken während der Fahrt. Ich bin richtig aufgeregt.
Als wir am Parkplatz ankommen, ist dort schon richtig was los. Ein Truck vom DOC (Department of Conservation, sowas wie die örtliche Naturschutzbehörde) von der Whale Rescue (Walstrandungen sind hier leider keine Ausnahme, wie wir erfahren) ist mit einer mobilen Koordinationsstelle bereits vor Ort, dazu ziemlich viele Leute, die helfen wollen sowie die unvermeidlichen Schaulustigen. Wir bekommen die Info, dass nicht nur einige, sondern 99 (!) Pilot Whales (Grindwale) gestrandet sind und das bereits am Tag davor. Eine kleine Gruppe konnte sich mit der ersten nach der Strandung einlaufenden Flut wohl selber wieder fluten, ca. 45 lebende Exemplare liegen zum jetztigen Zeitpunkt noch ca. vier km den Spit hoch am Strand, der große `Rest´ ist bereits verendet. Die Tiere sind nur bis ca. 2 Std. vor und nach Hochwasser mit dem Allradfahrzeug über den Strand zu erreichen. Es ist halb zehn, als wir da sind. Uns wird gesagt, das wegen des kalten Wassers Helfer mit Neos gebraucht werden. Was für ein Glück, dass wir welche besitzen. Ich möchte unbedingt zu den Tieren und helfen. Unglücklicherweise sind wir einen Moment zu spät, so dass uns der letzte Transport, bevor der Strand wegen der Tide unpassierbar wird, vor der Nase weg. Bis 1.30 pm kann erstmal kein weiterer Bus fahren. Danach wird neu entschieden, vielleicht gelingt es den Helfern, die bereits an der Strandungsstelle sind, während diesen Hochwassers, die Tiere bereits wieder zu refloaten.
Wir fahren also wie so viele andere auch, auf einen nebenan liegenden Acker und warten dreieinhalb Stunden im Van. Um halb zwei tanzen wir mit Proviant und Wasser ausgestattet und mit bereits angezogenen Neos wieder an. Insgesamt 40 Freiwillige warten gespannt auf Neuigkeiten von der Strandungsstelle, die per Funk durchgegeben werden. Dann ist klar, dass es nicht gelungen ist, die Tiere wieder zu fluten. Es werden Leute mit Neos zum Austausch gebraucht. Mit dem ersten Transport fahren also erstmal alle Volunteers der Organisation `Projekt Jonah´ und Freiwillige mit Neos an die Stelle. Viertel vor zwei kommen wir an. Schon auf dem dem Weg dahin passieren wir die ersten gestrandeten Tiere, die bereits tot sind. An ihrer Fluke hängt eine rote Markierung, einige haben Wunden, Fliegen und Möwen sitzen bereits an den Kadavern- es sieht aus wie auf einem Schlachtfeld.
An der Basisstation werden Schaufeln verteilt, Eimer und Laken ausgegeben. Ansonsten wirkt die Koordination etwas unorganisierter, als ich es erwartet hätte. Keine Kurzeinweisung oder Aufteilung der Helfer erfolgt. Wir marschieren also ins Watt. Die ersten Tiere liegen knapp 500 m hinter der Hochwasserlinie, weitere 20 nochmal versprengt 250 m weiter vorne. Wir finden durch befragen der Leute, die schon dort sind heraus, was getan werden muss. Diese sind froh, dass nun Ablösung da ist, einige sind bereits seit morgens um sieben im Einsatz. Die Wale liegen zum Teil sehr dicht, gemeinsam versuchen wir, sie etwas auseinanderzushiften, um Raum für die Helfer abseits der Fluken zu schaffen. Es ist eine große Herde: einige riesige, massige Bullen, Mütter, Halbwüchsige, einige Kälber, gerade einen Meter lang. Stephan hilft zunächst beim Materialtransport, ich beim bewässern der Tiere. Bald habe ich die Verantwortung für `meinen eigenen´ Wal. Gegen die Sonne werden die Tiere mit Betlaken abgedeckt, die die Rückenfinne freilassen, damit sich hier kein Hitzestau bildet. Dann wird kontinuierlich gewässert. Der Kopf wird vorsichtig übergossen, das Blasloch dabei freigelassen. Dabei müssen die Helfer versuchen zu vermeiden, die Ausatemluft der Wale selber einzuatmen. Soll irgendwie ungesund sein. Der Bereich um die kräftigen Fluken muss ebenfalls gemieden werden, da sie von Zeit zu Zeit damit kräftig schlagen können und dabei ordentliche Wucht entwickeln. Dann müssen die Schwimmflossen freigegraben werden, damit die Tiere nicht darauf liegen und sie belasten. Der Wal muss aufrecht liegen, weshalb wir die Tiere mit Sandsäcken zu stabilisieren versuchen. Am Anfang stehen wir hüfttief im Wasser, dann läuft das Wasser ab und das wässern der Wale wird anstrengend. Sandwälle werden gegraben, die das Wasser zurückhalten sollen, so dass wir mit den Eimern schöpfen können. An einigen Stellen müssen die Helfer jedoch bis zum nächsten Pril laufen. Es wird heiß im Watt, der Himmel ist wolkenlos. Bei einigen Walen beginnt sich die obere Hautschicht abzulösen, einer hat bereits ein tiefes, rundes Loch an der Seite – wahrscheinlich Sonnenbrand nach anderthalb Tagen außerhalb vom Wasser. Nach zweieinhalb Stunden merke ich, wieviel Durst ich bereits selber habe und gehe zum trinken an den Strand. Bei der Rückkehr kann ich die Wasserflasche mit reinnehmen, da der Sand nun freiliegt. Die Wale sind in ganz unterschiedlichem Zustand. Immer mal wieder kommt von einer Seite die Nachricht, das ein Wal verendet ist. Aber hier bleibt wenig Raum zum Nachdenken, so viele weitere Tiere müssen versorgt werden. Während des nachmittags sind zahlreiche Helfer da, dann jedoch werden es weniger Um 6pm fährt ein Bus zurück zum Parkplatz, viele Leute sind erschöpft. Ein letzter Bus wird erst gegen halb neun eingesetzt, die Koordination hat Befürchtungen, dass sonst nicht genug Volunteers verbleiben, um die Tiere bei einlaufendem Wasser zu fluten. Um sechs war Ebbe, gegen halb acht kann dann bei den vordersten Tieren wieder mit dem Fluten begonnen werden.
Die Zeit ist jedoch knapp. Bei Einbruch der Dunkelheit müssen alle Helfer aus dem Wasser sein- zu hoch wird sonst das Risiko für die Menschen. Wir werden, da wir Wetsuits anhaben, an die Wasserlinie beordert, um beim Fluten zu helfen. Mir fällt es zugegebenermaße schwer, nach viereinhalb Stunden meinen Wal zu verlassen. Schnell fühlt man sich persönlich verantwortlich. Es sind nur noch wenige Helfer verblieben, so dass nun jeder 4-5 Tiere versorgen muss, was richtig anstrengend ist. Mein Wal sah noch mit am besten aus, hat sehr regelmäßig geatmet (ca. 1 x die Minute) und sehr aktiv `geredet´. Die Tiere haben phasenweise sehr viel miteinander kommuniziert und das sich für unsere Ohren klagend bis singend anmutende Quietschen hört sich herzzerreißend an. Das werde ich nie vergessen. Zwar ist es nicht gut, in dieser Situation zu emotional zu werden, aber ich kann nicht umhin.
An der Wasserlinie ist dann andere Arbeit gefragt. An jedem Wal werden 2 – 4 Leute positioniert, die das Tier aufrecht halten, während das Wasser einläuft, damit das Blasloch freiliegen bleibt. Obwohl schon komplett im Wasser liegend, was für die Helfer Brusthöhe bedeutet, dauert es lange, bis die massigen Leiber wirklich fluten. Ob es an der Desorientierung, dem langen Liegen auf Grund oder an Schwäche liegt, ist nicht klar, aber die Wale `fallen immer wieder um´ beim Treiben, so daß wir bei ihnen bleiben müssen, um sie von der Seite zu stützen und aufrecht zu halten. Dabei ist den Fluken auszuweichen, die die Wale schlagen, sobald sie ausreichend Wasser unterm Kiel haben. Circa zehn Tiere schwimmen bald halbwegs und wir versuchen, die Herde zusammenzutreiben. Das Wasser brodelt, ein Gewusel aus Leibern, Fluken, Köpfen. Ein Kalb schwimmt als erstes, und schwimmt dann suchend hin und her, vermutlich nach der Mutter Ausschau haltend. Gequietsche, Blaslochgespritze, immer wieder drehen die Wale sich hilflos auf die Seite, Rückenfinnen schaben über den sandigen Grund, tauchen aufgescheuert wieder auf. Ein großer Wal kommt schließlich ins schwimmen, rotiert, schlägt mit der Fluke, treibt einige Meter und hält dann geradewegs wieder auf den Strand zu.
Warum bloß? Warum entfernen sich die Tiere nicht, wenn sie schwimmen? Hält die zurückgebliebene Herde sie zurück?
Kurz vor halb neun wird es langsam dunkel, der DOC zieht die Leute ab, die Wale bleiben für heute sich selbst überlassen in der Hoffnung, dass sie es schaffen, mit der auflaufenden Flut herauszuschwimmen. Vielen Helfern fällt es sichtlich schwer, die Tiere zurückzulassen, wohlwissend, dass die Chancen ohne Assistenz nicht gut sind.Wir sind schnell kalt geworden, im Meer stehen kühlt überraschend schnell aus. Zähneklappernd kehren wir zum Strand zurück, gießen noch ein paar letzte Wasserladungen auf die Tiere, verabschieden uns von `unserem´ Wal. Es nimmt ziemlich mit, die ganzen schönen Tiere so zu sehen, eine Riesenfamilie, gestrandet. Am Strand arbeitet bereits der Bagger, der die verendeten Tiere wegschafft und die Kadaver über die Dünen schaufelt. Die Romantik der untergehenden Sonne über dem Watt und die unbeteiligt nach Würmern stochernden Austernfischer wollen nicht so richtig in diese traurige Szenerie passen.
Wir ziehen uns trockene Klamotten über, werfen einen letzten Blick auf die zurückbleibenden schwarzen Leiber in der Distanz und besteigen dann den heute als Transportmittel dienenden Touristenbus, der uns zum Parkplatz zurückfährt. Dort angekommen merken wir erst, wie erschöpft wir sind, körperlich und emotional. Und wie dolle Sonnenbrand wir haben (wie das Foto vom nächsten Tag dokumentiert): eine knallrote, trennscharfe Linie quer über dem Oberschenkel. Wir beschließen, nicht vor Ort zu bleiben, sondern zum Hangdog Camp zurückzukehren, um noch heiß duschen und essen zu können. Das Salz runterspülen, eine Instantnudelsuppe kochen- zu mehr sind wir nicht mehr in der Lage, als wir um 23.30 Uhr wieder in Takaka sind. Ich fühle mich vollkommen ausgelaugt.
Mittwoch, 25,01.2012
Wir schlafen bis neun Uhr und sind danach immer noch total fertig. Ich habe kaum Kraft, die Bullitür zu öffnen. Der ganze Körper besteht aus Muskelkater. Aber wir sind nicht die Einzigen, im Camp schleichen noch mehrere andere herum, denen es genauso geht. Mittags fahren wir zweimal zum örtlichen DOC-Büro, um uns nach dem Stand zu erkundigen. Gerade ist jedoch Flut und noch ausreichend Leute vor Ort. Die von uns gestern abend gefluteten Tiere sind nachts allerdings wieder gestrandet und werden jetzt versucht mit der Mittagsflut erneut herauszubringen. Neue Nachrichten erst wieder am späten Nachmittag. Die Mitarbeiterin sagt, im Moment kann man sich vorsichtigen Optimismus erlauben, aber sollten die Tiere sich nicht freischwimmen, müssen sie irgendwann erschossen werden. Dann war alles umsonst. Dieser Gedanke macht mich ziemlich fertig. Mir geht das Schicksal der Tiere näher, als es mir guttut, Stephan gelingt es besser, emotionalen Abstand zu waren. Der abendliche Anruf beim DOC ergibt, dass die Tiere weiterhin fluten und zunächst keine Volunteers mehr gebraucht werden.
Freitag, 27.01.2012
ALL DEAD. Alles umsonst. Vormittags bin ich nochmal im DOC-Büro gewesen. Nur die 17, die sich am ersten Tag selbst freischwimmen konnten, haben es geschafft. Von 100. Die anderen sind gestorben bzw. am gestrigen Donnerstag getötet worden. Nach mehr als fünf Tidezyklen sind die Tiere immer schwächer geworden und wiederholt gestrandet. Was für eine Tragödie. Und warum? Ob es an der Strömung, Störungen durch Boote, Herdentrieb oder die geographische Beschaffenheit des flachen Spits liegt, vermag keiner zu sagen. Aber wahrscheinlich waren es dieselben Tiere, die schon einige Wochen zuvor bei einer weiteren Strandung dabeiwaren. Einige Tiere hatten entsprechende Markierungen. Und einige Tiere sind wohl sehr viel schneller gestorben, als sie es normalerweise dürften, wahrscheinlich waren sie noch geschwächt.
Sad. So sad.