Der Blick in den Vulkanschlund
Silke | 26. November 2011 | 12:11Prolog: Es ist ja nun nicht selten, dass man ein wenig auf gutes Wetter warten muss, wenn man einen Berg besteigen will. Am Fitz Roy drehen viele schon aus dem Basecamp wieder ab, bevor sie überhaupt Gelegenheit zu einem Gipfelangriff hatten. Aber dass wir hier in Pucón insgesamt 9 Tage überbrücken müssen, bevor das Wetter für einen (1!) Tag gut ist, damit hatten wir nicht gerechnet. Zwar war es zwischenzeitlich mal halbwegs trocken, dann jedoch so bewölkt, dass vom Vulkan und Krater nichts zu sehen war. Eine Besteigung in einer dicken Wolke ist Blödsinn und macht keinen Spaß. Und mein Dickkopf wollte halt da hoch und einmal in einen aktiven Vulkan schauen. Hier die Kurzversion der Wartezeit:
Tag 1: Ankunft in Pucón, Regen, aufziehende Erkältung
Tag 2: immer noch Regen, Erkältung in voller Fahrt
Tag 3: Regen mit Nieselpausen, immer noch voll fertig und dichter Kopf
Tag 4: Wettervorhersage für die nächsten Tage besser, aber nicht gut genug, Fahrt zum Überbrücken in den NP Huerquehue, bewölkt, aber trocken bis zum frühen abend. Mir geht´s wieder besser, so dass wir eine Wanderung auf schlammigen Pfaden nach Los Lagos hoch unternehmen .
Tag 5: es schifft, wie aus Eimern, da mein Überdruckventil kurz vorm warnblinken ist, zwinge ich Stephan mit sanfter Gewalt zu einer Regenwanderung hoch zum San Sebastián.
Tag 6: strahlender Sonnenschein am Vormittag. Wir fahren zurück nach Pucón und organisieren uns einen Transfer in den Park sowie Leihequipment für die Besteigung am nächsten Tag. Prognose scheint ok. Wir laufen zum Conaf-Büro, zeigen unsere DAV-Karten vor und schmieren Salami-Bemmen. Um 22:00 wollen wir unsere Ausrüstung bei Daniel am Hostal Paraíso abholen. Der schüttelt jedoch den Kopf und meint, morgen soll es doch schlecht werden. Laut einer anderen Wetterseite, die er benutzt Schauer und Schneeregen auf der Höhe. Nun gut, wir vertrauen der Erfahrung der Locals und verabreden, das Equipment zu holen, wenn das Wetter besser aussieht.Wir sagen bei der Transfer-Agentur ab, dann trösten wir uns mit dem letzten Teil der Harry-Potter-Reihe auf bolivianischer Piraten-DVD.
Tag 7: Froh, nicht losgefahren zu sein, blicken wir auf die dichte Wolkenwand, die dort hängt, wo eigentlich der Villarica zu sehen sein sollte. Da es abends wieder anfängt zu regnen, machen wir gar nicht erst Anstalten für morgen zu planen. Stephan streicht den Vulkan mittlerweile schon etwas von seiner Agenda, ich bin trotzig- ich will hoch!
Tag 8: Zum ersten Mal ist es einigermaßen klar, so dass wir uns am späten Nachmittag noch Fahrräder ausleihen und eine Tour zu den `Ojos de Caburga´ fahren. Ich bekomme somit meine dringend benötigte Bewegung und zwischendurch wird es sogar so klar und sonnig, dass wir quasi zum ersten Mal seit einer Woche tatsächlich den Vulkan zu Gesicht bekommen. Ein ziemlich schicker schneebedeckter Kegel aus wessen Öffnung stetig Rauchschwaden hervorquellen. Das ganze spielt sich in 20 km Entfernung ab und wenn man mal aktiv darüber nachdenkt, dass Pucón schon durch den ein oder anderen in der Vergangenheit liegenden Vulkanausbruch fast komplett platt gemacht wurde, kann einem schon etwas seltsam zumute werden. In den letzen 500 Jahren wurden fast 50 Ausbrüche des 2840 m hohen Vulkanes registriert, unter anderem ein Ausbruch Anfang der 1970-er Jahre, bei welchem eine sich herabwälzende Schlammlawine, die Folge des Ausbruchs war, weite Flächen in und um Pucón und Villarica zerstörte.
Leider beginnt Stephan´s Knie während der Fahrradtour wieder zu schmerzen, so daß wir nach der Rückkehr nach Pucón gemeinsam beschließen, dass er nicht mit auf den Vulkan klettern wird. Für morgen ist jedoch bestes Wetter angesagt und zum ersten Mal sieht es auch so aus, als könnte die Vorhersage halten, was sie verspricht . Das bedeutet also große Rück- und Neuorganisierungsaktion. Wir fragen bei Sierra Nevada, ob sie statt eines Transfers für uns beide denn auch noch einen regulären Platz für eine Person in ihrer Aufstiegsgruppe hätten, denn solo kann ich nicht gehen, sagen das Equipment bei Daniel ab und ich packe im Hostel meine sieben Sachen zusammen. Ein bisschen aufgeregt bin ich schon, und so schlafen wir leider beide extrem unruhig.
Die Besteigung:
Komischerweise fangen Bergbesteigungen hier im Gegensatz zu den Alpen erst ziemlich spät an, allerdings soll es keine Probleme mit Eisschlag oder Lawinen von der Seite geben, wo die Aufstiegsroute drin liegt. Zumindest nicht in dieser Jahreszeit… Um sieben haben schließlich alle ihre Gamaschen, Steigeisen, Überhosen und Co. in den Rucksäcken verstaut und nach einer kurzen Fahrt im Van starten wir um acht Uhr mit dem Aufstieg. Bei wolkenlosem Himmel ist es bereits ziemlich hell und die Sonne brennt mit ziemlicher Kraft herab. Schnell wandern Fleecepullover und Jacken in die Rucksäcke. Ungefähr die Hälfte der Gruppe entscheidet sich für eine Fahrt mit dem Sessellift, ich steige zusammen mit der anderen Hälfte zum Endpunkt der Seilbahn auf. Da wir zu der Zeit noch die ersten am Berg sind, habe ich noch die Hoffnung auf ein nicht ganz so überfülltes Aufstiegserlebnis. Das zerschlägt sich jedoch, als der Sessellift den Betrieb aufnimmt und die ersten Gruppen nach oben karrt. Schnell sind eine Menge Leute mehr im Hang und unsere Gruppe wird auch wieder vereint. Leider lassen sich die Guides nicht davon überzeugen, uns in eine schnellere und langsamere Gruppe zu teilen, so gondeln wir schön langsam in einer großen Ameisenschlange bergan. Etwas beneide ich die beiden Solo-Jungs, die zu Beginn an uns vorbeiziehen und bald weiter oben ausser Sicht verschwunden sind. Nun ja, auf der anderen Seite bleibt so viel Zeit zum Aussicht genießen und ganz alleine hätte ich halt auch nicht losgekonnt. So war das die einzige verbleibende Alternative. Trotzdem kostete es mich doch extrem viel Geduld, mich an das ewig langsame Gestapfe in einer langen Reihe anzupassen, statt mein Tempo zu gehen und dann Pausen zu machen, wo ich will und nicht dort, wo der Guide mal wieder eine einlegte (natürlich dort, wo alle anderen Gruppen auch waren…)
Richtig schick dagegen waren die Eisformationen, die durch den Regen der letzten Tage, die gefrierenden Temperaturen während der Nacht und den starken Wind herausgebildet wurden. Seitlich von unserer Route hingen zwei große, eisverkrustete Wechten unter dem rauchenden Gipfel und unsere Serpentinenstrecke führte durch unterschiedlichste Formen verharschten, skurril geformten Schnees und Eiskrusten.
Gegen halb eins waren die 1.500 hm dann geschafft. Das letzte Stück war nochmal richtig steil und sobald wir auf dem Gipfel waren blies uns ein ordentlicher Wind um die Nase, weshalb erst einmal sämtliche warmen und winddichten Schichten wieder hervorgekramt wurden. Zum Glück stand der Wind günstig und die reizenden, stark schwefelhaltigen Gase, die in dichten Schwaden aus der Tiefe des Kraters aufstiegen erwischten uns nur vereinzelt mal, wenn der Wind für einen Moment drehte. In diesem Fall begannen fast unmittelbar die Augen zu tränen und ich bekam Hustenreiz, weil der Geruch so scharf war. Ansonsten konnten wir jedoch staunend in den Schlund blicken und den unzweifelhaften Beweis für die Aktivität des Villarica beobachten. Ich meine sogar zwischendurch ein Grummeln vernommen zu haben.
Wir hatten ca. eine halbe Stunde Zeit, die wirklich bombastische Aussicht zu genießen, die den Blick weit ins Umland erlaubte, in welchem weitere aktive Vulkane stehen und mit Lagunen und Seen einen reizvollen Kontrast bilden.
Danach machten wir uns an den Abstieg. Wobei es eigentlich nicht wirklich ein Abstieg war. Hier in Pucón hat sich die Methode des “Herabslidens” auf Plastikdeckeln etabliert. Wir bekamen Überkleidung und eine Art Poschoner, der mit Gurten um den Hintern befestigt wurde. Dann setze man sich hin und rutschte den Hang runter, in den weniger steilen Stellen mit dem Plastik unterm Hintern, die Eisaxt wurde als Bremse zweckentfremdet. Das allerdings war nicht ganz ohne, da man den Speed nur eingeschränkt kontrollieren konnte und man im Zweifelsfall schnell mal die Haue im Gesicht haben konnte. So hatte ich auch einen Hintermann, der den Abstand unterschätzte und in mich reinrutschte- die Axt landete am Musikantenknochen, die Stiefel in meinem rechten Oberschenkel- der blaue Fleck hielt noch 10 Tage. Aber gut, so zweifelhaft die Methode sein mag, Spaß gemacht hat´s auf dem Großteil der Strecke trotzdem und war sicherlich unterhaltsamer und knieschonender als ein Abstieg (die kleine Pistensau in mir hat zumindest ordentlich gefeiert…).
Um halb drei waren wir wieder an den Bullis – fertig, aber zufrieden, wie meistens nach solchen Aktionen. Und richtig wetterglück hatten wir auch. Prallsten Sonnenschein und klare Sicht während der ganzen Besteigung. Und während wir zurück nach Pucón fuhren, begannen am Himmel schon wieder die ersten Wolken aufzuziehen. Als Stephan und ich am nächsten Morgen in den Bus nach Puerto Varas stiegen, schiffte es bereits wieder…..