Zwischenzeit….
Silke | 4. Juli 2012 | 07:05Seltsam waren sie, die ersten Tage wieder zurück in Deutschland.
Das gemeinsame Grillen im Garten mit Freunden und Familie war eine schöne Möglichkeit, sich wieder zu setzen, auch wenn die Müdigkeit noch im Hinterkopf sitzt und die innere Uhr noch eine andere Zeit anzeigt. Die Formulierung „zu Hause“ will jedoch noch nicht wieder so richtig passen. Richtig Heimweh habe ich eigentlich zu keinem Zeitpunkt gehabt, eher mal temporäre Sehnsucht nach Dingen oder Personen. Aber es fallen Unterschiede auf, kleine Gewohnheiten, die wir mitgebracht haben oder Dinge, die eine Art Heimatgefühl neu installieren. Da wäre zum Beispiel der seltsame Automatismus, der auf der Toilette entstanden ist, sein Papier in dem danebenstehenden Eimer zu entsorgen (von Stephan inbrünstig gehasst) und die Hand erst auf dem Weg neben die Schüssel innehält, das erstaunlich weiche, luxuriöse Papier, die Erkenntnis auf dem Flughafen in Helsinki, dass wir ja jetzt endlich wieder Wasser aus dem Hahn trinken können. Gerade waren wir im Transitbereich durch die Gegend gerannt, ohne einen Shop mit Wasserflaschen aufzutreiben.
Die Fahrradtour in den Buchenwaldbeständen und Magerwiesen rund um Stephans Elternhaus, die kleine Heimatschilder hochhält: der Geruch von Kornfeldern, die in der Sonne reifen, die Rufe von Kranichen im nahegelegenen Bruch, das „Moin“ entgegenkommender Radler. Ich bade noch etwas in meinem Widerwillen, mich ganz von der Reise zu trennen, obwohl ich mittlerweile die Armbanduhr mit der lokalen Echtzeit wieder am Handgelenk trage und mag noch gar nicht so richtig unter Leute. Mitte der Woche gehe ich dann doch in einen Aldi-Markt. Man versteht die Leute in der Schlange wieder, zählt vertrautes Wechselgeld in die Hand der Kassiererin und trotzdem fühle ich mich in den prall gefüllten Regalreihen seltsam desorientiert. Nicht nur im Supermarkt taucht dieses Gefühl auf. Auch bei der Planung von Mitfahrgelegenheiten weiß ich auf einmal nicht mehr, am Rande welcher vertrauten Strecken, die Wegmarker nun liegen: im Heidelberger, Hamburger oder Braunschweiger Raum. Das Jahr hat Selbstverständlichkeiten und Automatismen verwischt. Meine relativ neue EC-Karten PIN und jene vom Handy. Vergessen. Obwohl täglich benutzt. Das Autofahren in meinem alten Wagen ist wie immer. Aber einsteigen möchte ich ein paar Mal auf der Beifahrerseite. Genau wie ich bewusst im Uhrzeigersinn in den Kreisverkehr einfahren muss. So sehr habe ich den Linksverkehr aus Neuseeland und Asien verinnerlicht. Bei anderen Gelegenheiten erwische ich mich dabei, wie ich mir meine Argumente in Diskussionen im Kopf auf englisch vorformuliere, bis mir einfällt, dass das ja überflüssig ist. Im Supermarkt freue ich mich, als ich eine Mutter auf Spanisch mit ihrem Kind reden höre und würde sie am liebsten ansprechen. Nur um ein paar Worte Spanisch zu reden. Einen kleinen Teil Weltreise zu erhalten. Andere Dinge fallen leichter, erschreckend leicht fast. Wie die zwei Riesenbecher Kaffee zu konsumieren, die auf einmal wieder fast selbstverständlich zur Verfügung stehen. Der prall gefüllte Kühlschrank. Die entspannte Nachlässigkeit, mit der ich mich wieder in der Stadt bewege ohne mir in jeder Minute des Rucksackes auf meinem Rücken bewusst zu sein und darauf zu achten, dass ihm kein potentieller Dieb zu nahe kommt. Aber auch Flexibilität scheinen wir gelernt zu haben. Kein Zug? Ok, was ist die Alternative, wie kommen wir da hin? Geldautomat defekt, ok, wo ist der nächste? Unbekanntes U-Bahnsystem, unlustige Bankbeamte, gelangweilte Callcenter-Angestellte, Materialreklamationen, falsche Abrechnungen- kein Problem, da haben wir im letzten Jahr größere Brocken zu kauen gehabt. Viele Entscheidungen und Umplanungen gehen zackzack, nicht viel Gefackel, keine großen Umstände, wenig Vorplanung.
Stephan holt die Realität bereits am Dienstag ein- er fährt in den Nachbarort, um sich beim zuständigen Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden. Alles läuft problemlos, diese „Sorge“ ist erst mal vom Tisch. Ich bleibe noch bis Freitag da, für mich steht dieser Besuch am folgenden Montag an, aber auch bei mir ist nach ersten Startschwierigkeiten durch ein verlagertes Amt diese Hürde genommen. Danach folgen die Rückmeldungen bei den Krankenkassen. Damit sind wir auch formal wieder hier, gemeldet und versichert. Zu tun bleibt aber noch eine ganze Menge, bis wir hier wieder voll durchstarten können- logistisch, emotional und organisatorisch.