Harte Steine, Dicke Backen
Stephan | 9. Oktober 2011 | 17:06“It has been said that enough silver was extracted from the Cerro Rico to build a silver bridge from Potosi to Madrid – and with the bones of the 8 million people that died inside these mines, one could build a bridge back to Potosi.”
(aus: “Grito de Piedro”, ein Film von Ton Van Zantvoort)
Potosi ist nach Sucre unsere nächste Station. Die Stadt liegt am Fuß des Cerro Rico, eines pyramidenförmigen, rötlichen, kahlen Berges. Die Spanier begannen schon 1545 hier Silber abzubauen (bzw. die Minentätigkeit zu überwachen). Damals soll noch pures Silber gefördert worden sein, welches samt und sonders nach Europa geschafft wurde und viele Jahre lang die spanische und europäische Wirtschaft finanzierte. In Potosi wurden zudem Silbermünzen geprägt, welche ab ca. 1660 und in den folgenden zwei Jahrhunderten in der gesamten westlichen Welt als Zahlungsmittel benutzt wurden. Zu Hochzeiten war Potosi mit 120.000 Einwohner größer als London oder Paris. Heute ist der Berg durchlöchert wie ein Schweizer Käse, und pures Silber gibt es schon lange nicht mehr. Vom ehemaligen Reichtum Potosis ist eigentlich nichts geblieben, und die Stadt und ihre Einwohner haben sich einer neuen Einnahmequelle zugewandt.
Tja, und da kommen wir ins Spiel, hat man ja fast schon geahnt, oder? Zu den wenigen Attraktionen hier gehört ein Besuch einer der Minen. Diese Tour wird praktisch überall angeboten, und verläuft auch immer nach dem gleichen Schema. Also haben wir ein bißchen rumgeshoppt, um evtl. ein paar Bolivianos zu sparen. Bei ´Andes Salt Expeditions´ (einem der größeren Anbieter hier, und berühmt für den Chef Braulio, welcher ein Ex-Minero ist und im Film “The Devils Miner” mitspielt) bekamen wir ein Angebot für 80 Bol, 20 weniger als die Tour in unserem Hostel Koala Den kosten sollte. Haben wir dann auch gleich mal gebucht, da ja Touren von Hostels oft nicht so dolle sind. War in diesem Fall leider andersrum, soviel vorweg.
Zuerst muß noch erklärt werden, wie das Minensystem hier funktioniert. Es gibt Cooperativen, welche eine oder mehrere Minen vom Staat pachten. Die Mineros dieser Cooperativen, welche im Berg arbeiten (meist in Gruppen zu 4 Leuten), tun dies allerdings für sich selbst. Ihr Einkommen hängt von der Menge und Qualität des Materials ab, welches sie aus dem Berg holen.
Pünktlich um 0900 stehen wir bei ASE vor dem Büro, wo sich auch schon ein paar andere Touris tummeln.
Uns war etwas von 10 Leuten gesagt worden, letztendlich geht es mit 23 Leuten um die Ecke zum “Schutzkleidung” abholen. Hose, Jacke, Helm, Lampe, Gummistiefel – alles schon etwas älter.
Der nächste Stop ist dann der ´Miners Market´. Hier kaufen die Mineros alles, was sie so zum täglichen Arbeiten brauchen. Schubkarre, Spaten, Dynamit, Zünder, Ammoniumnitrat (macht in Verbindung mit dem Dynamit mehr Bumms), Cocablätter, Saft, Wasser. Ganz wichtig sind die Cocablätter und der Saft, denn die Mineros essen den ganzen Tag nichts. Sie fangen ungefähr eine Stunde vor der Arbeit an, Coca zu kauen, was nicht nur den Mund, sondern auch das Hungergefühl betäubt. Der Saft gibt Flüssigkeit (tiefer in der Mine ist es bis zu 45°C heiß) und Zucker. Also wird uns nahegelegt, das jeder eine Tüte Cocablätter und eine Flasche Saft als Geschenk für die Mineros in der von uns angesteuerten (befreundeten) Tienda kauft. Wir sind mal rebellisch und kaufen zwischen uns zweien in der Tienda nebenan ein Geschenkpaket, für 5 Bol weniger. Gut das uns unsere resolute, fröhlich Coca kauende Führerin nicht erwischt hat. Auf Dynamit verzichten wir – aber es wäre wohl die einfachste und günstigste Möglichkeit gewesen, an Sprengstoff zu kommen…
Beladen mit ´Geschenken´ gehts ab Richtung Cerro Rico. Ein paar der Jungs im Bus, der Typ ´ich-bin-auf-Reisen-und-probier-alles-was-die-locals-machen´, sind auch schon fleißig am Coca kauen, unter begeisterter Anleitung unserer Führerin. Naja, wenn´s denn sein muss. Am Mineneingang bekommen wir noch schnell die Sicherheitshinweise: in der Mitte der Schienen gehen, wenn von vorne eine Lore kommt und “guarda!” gerufen wird, schnell mit dem Rücken an die Wand. Die Minen sind kein Museum, es wird immer noch hier gearbeitet. Und zwar mehr oder weniger unter den Bedingungen von vor 350 Jahren, wie wir bald zu sehen bekommen. Doch zuerst merken zumindest Silke und ich bei den ersten Schritten durchs Wasser am Tunnelboden, das bei uns beiden die Gummistiefel nicht dicht sind. Fein, die gesparten 20 Bol haben sich schon richtig gelohnt. Zum Glück wird es weiter im Berg wieder trocken, und der Staubanteil steigt. Wir sind beide dankbar für die 2 Papiermasken, welche wir uns auf dem Markt noch geholt haben. Die meisten Mineros haben nach ein paar Jahren Silicosis, Staublunge, und machen trotzdem weiter. Das Durchschnittsalter liegt bei 45 Jahren. Je weiter wir in den Berg gehen, desto niedriger wird der Gang, bis wir schließlich auf allen vieren durch eine schmale Passage kriechen müssen.
Nach dieser steht unser Besuch bei ´Tio´ an, dem Teufel, welcher hier unter der Erde das Sagen hat. Die Mineros verehren Tio, bringen ihm Opfer (Zigaretten, Alkohol, Cocablätter), um zum einen Erfolg bei der Arbeit zu haben, und um sicher wieder heraus zu kommen.
Danach treffen wir die ersten Arbeiter, welche, relativ lethargisch, auf eine Lore warten, um dann das Gestein in große Gummibehälter zu schippen, welche dann von einer Winde auf einen höheren Level gezogen werden. Viel Gelegenheit zur beworbenen Kommunikation mit den Mineros gibt es leider nicht. Nur unsere Führerin scherzt etwas auf spanisch mit den Leuten, die sie ja fast jeden Tag auf ihrer Tour sieht. Hier dürfen dann auch die ersten von uns auf Anweisung die ersten Geschenke verteilen. Diese werden fast schon selbstverständlich, ohne Dank, entgegengenommen.
So geht es dann noch ein bisschen weiter. Informationsmäßig bleibt es mager. Wir haben so ein bißchen das Gefühl, das wir eher der Verpflegungstrupp der Mineros sind. Nicht das die Jungs das Coca und den Saft nicht brauchen würden – besonders in der Hitze ist jeder Tropfen Flüssigkeit wichtig. Aber dafür, das mittlerweile fast alle mehr vom Tourismus leben als von den Erträgen der Minen, hätten wir doch etwas mehr Dankbarkeit für die ´Geschenke´ erwartet. Und vielleicht auch das eine oder andere Gespräch bei der Übergabe. So bleibt ein zwiegespaltener Eindruck, als wir uns wieder dem Ausgang nähern. Denn generell ist es schon interessant und auch erschreckend zu sehen, wie und unter welchen Bedingungen dort nach Silber und Co. geschürft wird. Und unsereins jammert wegen nasser Füße und staubiger Kehle… Wir sind also trotzdem irgendwie ganz froh, wieder sicher im Tageslicht zu stehen. Abends schauen wir uns dann noch “Grito de Piedro” an, welcher zufälligerweise in der Hostel-Videothek steht. Im Film wird eine Minerofamilie begleitet, und wir bekommen einen Großteil der Infos, welche wir uns von unserer Führerin gewünscht hätten, sowie dazu auch noch einen kleinen Einblick in das Leben der Mineros.
Fazit: ein Besuch der Mine ist sicherlich empfehlenswert, denn bei all der touristischen Durchschleuserei gibt es immer noch viele interessante Dinge zu sehen und zu lernen.
Beim Anbieterlotto kann man gewinnen oder verlieren, aber das sind wir ja mittlerweile gewohnt. Die nächste große Lottoziehung kommt ja dann in Uyuni, wo wir morgen Abend hinfahren.
hi Stefan, danke für den eindrucksvollen Bericht. da ich vorher auch schon das Abenteuer „Uyuni“ gelesen habe, muss man feststellen, dass auch in dieser Teilen der Welt der Versuch unternommen wird, die Touris abzuzocken. so sammelt ihr Erfahrungen für kommende Begegnungen, wobei man nicht immer sofort weiss, welche Entscheidung richtig ist, wie du selber sagst-mal ist das Angebot über die Hostels Nepp – mal das der örtlichen privaten Anbieter- da ist immer „Bauchgefühl“ gefragt- und das kann auch täuschen. Also abhaken- ihr habt ja die Situation gut gemeistert. -Tja und wie du als geschichtlichen Hintergrund mitgeliefert hast, haben früher die Europäer die Leute abgezockt-nun ist es umgekehrt!- Eine Form von ausgleichender Gerechtigkeit.
Gute Weiterreise nach Chile.